Ein doppeltes Eigengoal für die Sicherheit und den Rechtsstaat

Haben Sie auch kurz gestutzt diese Woche, als Sie gelesen haben, dass die Luzerner Fankurve im Stadion nur offen bleibt, wenn der Gewalttäter vom letzten Wochenende sich stellt oder die Polizei ihn dank Hinweisen findet? Irgendwie können Sie das nachvollziehen, man muss doch etwas gegen die Gewalt tun – aber irgendwie fanden Sie auch, etwas sei doch falsch an diesem Ultimatum? Beide Empfindungen sind richtig: Alle Menschen finden, dass die Gewalt keinen Platz hat, wir wollen alle friedliche und geordnete Fussballspiele. Aber das Luzerner Ultimatum ignoriert die Prinzipien unseres Rechtsstaats. Die Regeln die wir verinnerlicht haben, wie wir in unserer Gesellschaft Gerechtigkeit schaffen: Die Verantwortung einer Straftat liegt einzig bei der Täterin oder dem Täter. Und es ist der Staat, der diese Person verfolgt und dann bestraft.

Es ist haarsträubend, wie die Behörden diese Prinzipien beim Thema Gewalt rund um Fussballspiele einfach über den Haufen werfen und auf Methoden aus früheren Zeiten zurückgreifen, die wir schon längst überwunden glaubten. Beispielsweise die Sippenhaft: Eine Person begeht eine Straftat, aber bestraft wird die ganze Gruppe, der man sie zuschreibt. Die Sperrung von Fankurven ist eine Sippenhaft, eine Kollektivstrafe – die Schweizer Behörden haben sie mit dem sogenannten Kaskadenmodell eingeführt. Mit der Begründung, es sei nach Ausschreitungen eine Präventionsmassnahme, um weitere Ausschreitungen zu vermeiden. Schon diese Kollektivstrafe aus Präventionsgründen ist vermutlich rechtswidrig, derzeit ist ein Gerichtsverfahren dazu hängig.

Die Luzerner Bewilligungsbehörden setzen nun aber noch einen Drauf: Der Täter eines Vorfalls vom letzten Wochenende konnte noch nicht gefasst werden, deshalb sperren sie die Fankurve. Eine solche Kollektivstrafe für vergangene Ereignisse ist im Schweizer Recht nicht zugelassen. Aus gutem Grund: Wir anerkennen in unserer Gesellschaft die Selbstverantwortung, nicht die Sippenhaft. Nur ein kranker Rechtsstaat setzt darauf, die Menschen zu belohnen, wenn sie sich untereinander verfolgen und denunzieren.

Das staatliche Handeln muss sich immer an die Regeln und Prinzipien halten, die wir unserem Rechtsstaat gegeben haben. Dass der Rechtsstaat für gewisse Gruppierungen offensichtlich nicht gilt, provoziert nur heftige Reaktionen und neue Regelüberschreitungen. Ein klassisches Eigengoal.

Der Entscheid, die Fankurve zu sperren, erreicht auch bezüglich Sicherheit das Gegenteil vom Erhofften. Die Fans der Stehplatztribüne werden nun einfach im Sitzplatzbereich das Spiel verfolgen. Gleich zwischen Kids-Corner und Gästefans statt separiert. Die Massnahme hat die Situation im Stadion für die Sicherheitskräfte schwerer kontrollierbar gemacht. Auch ein Eigengoal für die Sicherheit.

Es ist absolut unverständlich, weshalb Regierungsrätin Ylfete Fanaj und ihre Behörden diese Woche derart hilf- und kopflos agieren: Sie kennen eigentlich die funktionierenden Rezepte für friedliche und geordnete Fussballspiele und setzen diese seit einem Jahr um – meist erfolgreich. Mit den neuesten Massnahmen verspielen sie aber viel Vertrauen. Die Fans und der Fussballklub werden sich davon nicht beeindrucken lassen – im Gegenteil, der Erpressungsversuch ist eine unnötige Provokation, welche die Zusammenarbeit gefährdet. Und man fragt sich: Wie viel gilt der Rechtsstaat noch, wenn sich die Behörden von populistischen Massnahmen verführen lassen und die Zeitungsredaktion noch dazu gratuliert? Dieser Entscheid ist ein doppeltes Eigengoal für Sicherheit und Rechtsstaat.

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