Stell dir mal vor: Du bist Verkehrsminister*in. Vor langer, langer Zeit, als das Strassennetz im Aufbau war, kam man auf die weitsichtige Idee, eine kleine Abteilung (zwei Personen) mit 90 Stellenprozenten einzurichten, die sich um die bauliche Sicherheit der Strassen kümmerte, neue Strassenbauprojekte begleitete wie auch die Stabilität bestehender Strassen überprüfte. Es war überschaubar: Ein paar Dutzend Kilometer Strasse, benützt von einigen hundert Fahrzeugen.
Viele Jahre später – nun bist du in der Verantwortung. Inzwischen hat sich die Arbeit der Abteilung vervielfacht. Tausende von Kilometern Strasse, ein x-faches an Fahrzeugen – die Strasseninfrastruktur ist essenziell geworden für Wirtschaft und Gesellschaft. Und es gibt sehr viel mehr und komplexere Strassenbauprojekte. Seit Jahren beschwert sich deine Abteilung für Strassenbausicherheit, sie hätte zu wenig Ressourcen, sie könne deswegen nicht all ihren Überprüfungen nachkommen und nicht in allen Projekten ihr Fachwissen einbringen. Als vernünftige*r Verkehrsminister*in erhörst du die Alarmglocken: Die Abteilung wird mit massiv mehr Ressourcen ausgestattet und vergrössert. Die Strassennutzer*innen sollen sich sicher auf den Bauwerken bewegen können.
Genügend Ressourcen sind nötig, um unsere öffentlichen Infrastrukturen mit dem nötigen Fachwissen bauen und unterhalten zu können.
Vielleicht hast du vor kurzem den Kopf geschüttelt über Italien, weil es seine Autobahnbrücken nicht konsequent gewartet hat. Man vermutet zwar inzwischen, dass nicht mangelnde Ressourcen für die Überprüfung von Autobahnbrücken den Einsturz einer solchen in Genua verursachten. Aber unser Bewusstsein ist geschärft: Genügend Ressourcen sind nötig, um unsere öffentlichen Infrastrukturen mit dem nötigen Fachwissen bauen und unterhalten zu können.
So. Nachdem wir jetzt über Italien den Kopf ausgeschüttelt haben, sollten wir damit beginnen, den Kopf über Luzern zu schütteln. Es vernachlässigt nicht die Strassen-Infrastruktur – aber eine andere öffentliche Aufgabe, ebenso grundlegend für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft: den Datenschutz. Vor langer, langer Zeit installierte man im Kanton einen Teilzeit-Datenschutzbeauftragten und stellte ihm eine Assistenz für die Administration zur Seite, insgesamt 90 Stellenprozente. Machte wohl Sinn so. Dann kamen die Nullerjahre: Rasende Entwicklung der Technologien, immer ausgefeiltere Geräte, unser Leben zunehmend digital. Wir produzieren laufend Unmengen an Daten, Private wie öffentliche Einrichtungen arbeiten damit.
Und der Kanton Luzern gibt seit 2005 gleich wenig Geld aus für den Datenschutz.
Dabei stapelt sich, natürlich, die Arbeit auf dem Pult des Datenschutzbeauftragten und seines Assistenten: Inzwischen müssen ja alle, Kanton, Gemeinden, Private, etwas zu Daten und dem korrekten Umgang damit wissen (in Zahlen: fast dreimal mehr Anfragen). Und: Immer mehr Projekte der öffentlichen Hand haben einen Zusammenhang mit der Nutzung von Daten, weshalb dafür Fachwissen über Datenschutz gefragt ist. Die Anzahl der Projekte, in welchen der Datenschutzbeauftragte mitarbeitete, hat sich zwischen 2005 und 2016 verzehnfacht!
(Hier geht es zur vollständigen Tabelle)
Der Datenschutzbeauftragte läutet die Alarmglocke, seit Jahren: Er kann seinem Auftrag nicht mehr wirklich nachkommen, Bereiche mit niedriger Priorität werden vernachlässigt – wer die Glocken nachhören und die Zahlen dazu nachlesen möchte, findet viel Material in den Jahresberichten des Datenschutzbeauftragten. Ein Auszug aus dem Jahresbericht 2017, Seiten 2/3:
„Die Bewältigung der Geschäftsfälle der Datenschutzaufsicht, bestehend aus den jährlich steigenden Neuzugängen sowie den mehrjährigen Geschäften der Vorjahre, ist mit den seit 2005 unveränderten Ressourcen nicht mehr möglich: Abgesehen von zahlreichen zentralen gesetzlichen Aufgaben, die nicht im erforderlichen Ausmass, seit Jahren nicht mehr oder noch gar nie ausgeführt werden konnten (Datenschutzkontrollen, Datenschutzschulungen oder andere präventive Aktivitäten, proaktive Medienarbeit), nimmt auch die Erledigung von bis anhin noch einigermassen zu bewältigenden gesetzlichen Aufgaben wie der Beantwortung von Anfragen der Gemeinden, des Kantons und Privater sowie der Beratung der kantonalen und kommunalen Verwaltungen in Projekten zunehmend ab.“
Es wird deutlich, dass der Datenschutz in immer mehr Bereichen zum Thema wird. Und sich die Anzahl Auskünfte in allen Bereichen stetig vergrössert:
(hier geht’s zur vollständigen Grafik mit den genauen Zahlenwerten)
Zur Erinnerung: Der Datenschutzbeauftragte und sein Assistent haben diese Explosion der Arbeitslast mit seit 2005 gleichbleibenden Ressourcen erledigt. Denn die kantonale Politik, oder präzis ausgedrückt die sparwütigen bürgerlichen Parteien im Kantonsrat, verschliessen die Augen vor den Zahlen und halten sich die Ohren zu, wenn wieder mal der Alarm schlägt. Dafür kürzen sie bei der jährlichen Budget-Runde jeweils die von der Regierung beantragten weiteren Ressourcen für den Datenschutz. Der oberste Datenschützer der Schweiz konstatiert deshalb: „Etliche Kantone haben noch nicht eingesehen, dass Datenschutz kein Luxus ist. Ihnen fehlt das Bewusstsein, worum es wirklich geht.“
Fast schon bewunderswert, dass der Datenschutzbeauftragte dieses Trauerspiel jahrelang mitmachte – und erst diesen Sommer den Bettel hinschmiss. Mein Grüner Kollege Hans Stutz stellte kurz darauf dem Kanton kritische Nachfragen zu den Gründen des Abgangs und dem weiteren Vorgehen zur Wiederbesetzung der Stelle. Seine schlimmsten Vorahnungen haben sich inzwischen bestätigt: Der bisherige Datenschutzbeauftragte beendet seine Tätigkeit in wenigen Tagen – wann der neue kommt, weiss noch niemand. Inzwischen erbarmt sich ersterer und bietet an, für datenschützerische Notfälle auch in den kommenden Wochen noch zur Verfügung zu stehen.
Wir schreiben das Jahr 2018. Öffentlichen Datenschutz gibt es im Kanton Luzern nur in Notfällen.
Wir schreiben das Jahr 2018, munter schreiten wir vorwärts in die digitale Gesellschaft. Aber im Fundament, der Infrastruktur dafür, „lödelet“ es ganz gewaltig. Denn öffentlichen Datenschutz gibt es im Kanton Luzern nur in Notfällen. Dann, wenn irgendwo die Datenleitung leakt. Hoffentlich wachen die Verantwortlichen nicht erst auf, wenn eine Autobahnbrücke einstürzt.
Ein Kommentar zu „Es „lödelet“ – auch in unserer Infrastruktur“